Konzepte, Informationsmodell und

Produktbeschreibung

Entwicklung eines Umsetzungskonzeptes für die Nutzung des "Shared Digital Twins".

Ihr Ansprechpartner

Miguel Rodriguez

Komax AG

Herr Rodriguez ist Project Leader Digital Marketplaces

Konzepte, Informationsmodell und Produktbeschreibung

Entwicklung eines Informationsmodells

Das Teilprojekt 1 "Konzept, Informationsmodelle und Produktbeschreibung" erarbeitet wichtige Grundlagen. Es schafft Voraussetzungen, um einen "Shared Digital Twin", also einen gemeinsamen digitalen Zwilling zu entwickeln. Dieser macht es möglich, Daten über alle Akteure hinweg zu teilen. Hierzu müssen Informationen als semantische Modelle aufgearbeitet werden, aus denen sich eine Verwaltungsschale für den Leitungssatz zusammensetzt. Um dahin zu kommen, müssen Daten, die sich als relevant herausstellen, möglichst genau definiert werden. Mit Fragen, wie: "Welche Daten gibt es? Was ist deren semantische Bedeutung? Wie gehören sie zusammen? Welche Datentypen können wie gruppiert werden?" tasten sich die Projektbearbeiter:innen Stück für Stück vor. Parallel zu diesem Basisprojekt starteten die Teilprojekte 2 - 4, die die einzelnen Wertschöpfungsbereiche des Leitungssatzes adressieren: Entwicklung, Produktion und Montage. Dafür muss man tief hinab in die Einzelheiten steigen. Tausende Stecker, Kabel, Tüllen müssen deklariert und Bezeichnungen harmonisiert werden. Damit aus den vielen winzigen Details bis Ende 2024 etwas ganz Großes werden kann.

Ziele des Teilprojektes

Ziel ist es, alle Komponenten des Leitungssatzes und deren Informationen bzw. Daten mit entsprechenden Informationsmodellen zu beschreiben. Ein Informationsmodell beschreibt reale Objekte, in dem es zum Beispiel Namen, Eigenschaften oder Beziehungen exakt definiert. Im Kontext des Leitungssatzes wird somit der Name eines bestimmten Bauteils, zum Beispiel ein Stecker, mit den zugehörigen Eigenschaften „hitzebeständig, spritzwassergeschützt“ und weiteren Produktdaten eindeutig beschrieben. Aber schon bei einer simplen Verbundkomponente aus Stecker plus Kabel kommen viele Daten zusammen. Hier kommt die Verwaltungsschale ins Spiel: Sie ist das zentrale Instrument, mit dem Informationen und Daten einerseits gespeichert werden können. Und andererseits in Form von Komponenten-, Ressourcen- und Prozessdaten über den gesamten Produktlebenszyklus abrufbar sind.

Dem Teilprojekt 1 kommt außerdem die Aufgabe zu, die Datenmodelle aus den etablierten Datenstandards der Branche über den Wertschöpfungsprozess miteinander zu verknüpfen. Außerdem werden Konzepte entwickelt, wie man die einzelnen Standards und Teilmodelle, die hochdetailliert sein können, miteinander kombinieren kann.

Aktuelle Arbeitsschwerpunkte und Ergebnisse

Die Leitungssatzherstellung ist geprägt von Änderungsprozessen. Zahlreiche Änderungen am Leitungssatz werden während des Engineerings, also während der technischen Entwicklung vorgenommen oder können selbst dann noch stattfinden, wenn die Produktion bereits angelaufen ist.

Die Unternehmen haben über die Jahre eigene Datenschnittstellen mit einer großen Menge an zu verarbeitenden Daten aufgebaut. Es fehlten bislang passende Standardisierungen, die den Umgang mit der Datenvielfalt rund um den Leitungssatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette beherrschbar gemacht hätte. So existieren unternehmenseigene Informationssilos, die in den unterschiedlichsten Informationssystemen erstellt, hinterlegt und abgerufen werden. Ein Nachteil, denn damit besteht jederzeit die Gefahr, dass Daten, die aus früheren Prozessschritten abgeleitet wurden, verloren gehen und für spätere Prozessschritte nicht zur Verfügung stehen. Oder wenn geänderte Daten nur in Excellisten festgehalten werden, statt sie alle nachvollziehbar an einem festgelegten Ort einzupflegen und rückverfolgbar zu machen. Diese gängige Praxis soll mit dem Teilprojekt 1 überwunden werden.

Die Verwaltungsschale soll zur Datendrehscheibe werden, auf der alles aggregiert ist. Angefangen bei Produktdaten, Daten aus der Konstruktion bis hin zu Nutzungsdaten. Der Vorteil ist: In einer durchgängigen, digitalen Prozesskette finden keine Informationsverluste statt. Das Prinzip der Verwaltungsschale sieht vor, dass über den gesamten Produktlebenszyklus kontinuierlich Daten hinzugefügt oder geändert werden können. Dass alle notwendigen Informationen über Maschinen, Produkte, Prozesse gespeichert werden und auch abrufbar sind. Ohne eine Standardisierung, die unternehmensübergreifend funktioniert, wäre das alles nicht möglich. Die Übertragung von Informationen wird bewusst und reversibel gesteuert. Zu jedem Zeitpunkt kann die Gesamtheit der Informationen etwa über Bordnetze, Systeme, eine Gesamt-Stückliste, Produktionsdaten sichtbar gemacht werden. Zudem ist es möglich, Informationen auszublenden. Oder per kontrolliertem Zugriff nur bestimmte Daten sichtbar zu machen.

Die Ergebnisse des Teilprojekts werden entlang der wesentlichen Prozessschritte Entwicklung, Produktion und Montage des Leitungssatzes entwickelt. Es steht in engem fachlichem Austausch mit den Teilprojekten „Integration der Verwaltungsschale“, „Automatisierte Verhandlungsprozesse“, „Data Business Policy, Daten Governance und Monetarisierung“, sowie „Data Storage Policy, Sicherheit, Anbindung an Catena-X“ und zählt deshalb zu den Querschnittsprojekten.

Mehrwerte

Die hier zu entwickelnden Konzepte, Modelle und Beschreibungen bilden zum einen die Basis für alle weiteren Teilprojekte und sind zum anderen eine herausragende Grundlage für die Umsetzung der Verwaltungsschale.

Sämtliche Vorarbeiten, beispielsweise der Plattform Industrie 4.0, des ZVEI, des VDMA und anderer Akteure für die Anwendbarkeit auf den Leitungssatz, werden einbezogen. Außerdem: Eine Mitarbeit an den Standards beispielsweise für die verschiedenen Ausprägungen des OPC UA Comp. Spec. (ausgeschrieben: Open Plattform Communications Unified Architecture Companion Specification) in den jeweiligen Gremien ist essenziell und bietet die Möglichkeit, einen dieser Standards mitzuprägen.

Stand der Arbeiten

Am Anfang des Projekts haben die Bearbeiterinnen und Bearbeiter zunächst sehr viele Anforderungen an die Verwaltungsschale gesammelt. Insgesamt wurde eine Liste mit über 90 Anforderungen erstellt, welche kategorisiert, zusammengefasst und priorisiert wurden. Ebenso wurde zu Beginn schnell klar: Man möchte für den Part „Produkt“ aus dem Dreiklang Produkt-Prozess-Ressource (kurz PPR, siehe Abbildung oben) mit bestehenden Spezifikationen arbeiten. Angeboten haben sich vor allem für die Produktspezifikation die Kabelbaumliste (KBL) und der Vehicle Electric Container (VEC). Wobei der VEC gegenüber der KBL die deutlich weitreichendere Variante ist. Er bildet nicht nur einen Leitungssatz ab. Sondern mit dem VEC können sogar ganze Bordnetze mitsamt den Steuergeräten abgebildet werden.

Für die Beschreibung des Prozesses und der Ressource wird auf den Standard OPC UA zurückgegriffen. OPC UA gilt als Standard-Interface im Kontext von Industrie 4.0 und als Universalschnittstelle. Nicht nur für die Kabelindustrie, sondern für eine Reihe von Industriezweigen. Weil mit ihr Maschinendaten weitergegeben und semantisch beschrieben werden können, sodass eine Maschine sie interpretieren kann. Das dient im Projekt VWS4LS als Basismodell für den Leitungssatz. Insbesondere auf dem OPC UA Comp. SPec. for Machinery lässt sich aufbauen, denn sie definiert bereits Anwendungen sowie Module. Zur Diskussion stehen momentan weitere Standards: Der OPC UA Result Transfer und OPC UA Job Management. Hier gibt es zwar noch Überlegungen, ob Teile für den Leitungssatz angewendet werden können. Dennoch scheint sich abzuzeichnen, dass es nützlich ist, mit beiden zu arbeiten. Für alles weitere, was durch die KBL, den VEC oder den OPC UA Comp. Spec. nicht abgedeckt ist, wäre das Konzept eines Manufacturing Execution System (MES) eine weitere Möglichkeit, die in der Leitungssatzproduktion genutzt werden könnte.

Im Laufe des Projektes wurde nach einer gründlichen Analyse der verschiedenen Standards festgestellt, dass die Datenstrukturen von VEC, KBL, und OPC UA am besten für das Projektziel geeignet sind. VEC und KBL bieten etablierte und standardisierte Darstellungen von Produktstammdaten, während OPC UA Comp. Spec. als allgemeiner Industriestandard für die Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen Systemen dient. Aus diesem Grund wurde das Datenmodell für die Verwaltungsschale des Leitungssatzes auf den bestehenden Datenstrukturen von VEC, KBL und OPC UA aufgesetzt.

Um die verschiedenen Produktionsprozesse und Parameter effizient und einheitlich zu verwalten, wurde ein detailliertes Prozess- und Parametermodell definiert. Hierfür wurden zunächst die verschiedenen Produktionsprozesse identifiziert und für jeden Prozess eine eindeutige Bezeichnung sowie eine Beschreibung hinterlegt. Dies umfasst die Anpassung von bestehenden Datenstrukturen, die Definition von zusätzlichen Attributen und Beziehungen sowie die Einbindung von branchenspezifischen Informationen. Durch diese Erweiterungen wird sichergestellt, dass das Datenmodell alle erforderlichen Aspekte unserer Anforderungen abdeckt und eine solide Grundlage für die weitere Projektentwicklung bietet.

Nach der Validierung und Finalisierung wurden alle erfassten Prozesse und Prozessparameter an die VDMA zur Integration in der OPC UA «Companion Specification for the Wire Harness Manufacturing Industry» (VDMA 40570) weitergegeben. Durch die enge Zusammenarbeit mit der VDMA und die Integration der Erkenntnisse in die OPC UA Spezifikation tragen wir aktiv dazu bei, die Industrie 4.0-Vision in der Kabelbaumindustrie voranzutreiben und eine effiziente, standardisierte Kommunikation und Datenverarbeitung in diesem Bereich zu ermöglichen.